Textbeitrag für das vierte industriegeschichtliche Kolloquium am 7. November 2015 im Museum für Energiegeschichte in Hannover
Energie im Fluss
von Bernd Kirchhoff, Verein für Heimatpflege und Kultur Exten e.V.
Wasser bedeutet Leben. Neben der Bedeutung für den menschlichen Körper haben Menschen früh auch die kinetische Energie des Wassers erkannt. Aus ersten Schöpfvorrichtungen, die Wasser zur Bewässerung von Feldern transportierten, wurde die bekannte Archimedische Schraube. Spätestens seit dem 9. Jahrhundert sind unterschlächtige Wasserräder bekannt, die die den Strömungsdruck des Wassers ausnutzen. Das oberschlächtige Wasserrad stellt eine bedeutende Weiterentwicklung dar. Es nutzt neben der Fließgeschwindigkeit als Bewegungsenergie auch das Gewicht des fallenden Wassers.
Im Zuge der Industrialisierung Europas im 18. Jahrhundert kommt dem oberschlächtigen Wasserrad eine zentrale Bedeutung bei. Wasserkraft ist das energetische Rückgrat der energiehungrigen industriellen Revolution. Erst durch Erfindung der Turbine war es möglich, die Antriebsleistung von oberschlächtigen Wasserrädern noch zu verbessern.
1866 wurde der elektrodynamische Generator durch Werner von Siemens erfunden. Es wurde die Umwandlung von Wasserkraft in elektrischen Strom möglich. Welches Potential zur Energiegewinnung tatsächlich im Wasser verborgen ist, ergibt sich aus der transportierten Wassermenge und der Fließgeschwindigkeit, die aus den topographischen Verhältnissen resultiert.
Nachdem Stromnetze flächendeckend verfügbar waren, wurden vielerorts die wartungsintensiven Wasserräder entfernt und Strom zentral in Kraftwerken erzeugt. Die in den Produktionsstätten der Industrie benötigte kinetische Energie lieferten Elektromotoren. Sichtbare und funktionierende Wasserräder sind in Norddeutschland mittlerweile selten geworden.
Wasserkraft hat seine Faszination jedoch nicht verloren. Neben der Erzeugung von Strom aus Photovoltaik und Windenergie hat die Energiegewinnung aus Wasserkraft gewichtige Vorteile. Wasserkraftanlagen sind regelbar und grundlastfähig. Der Energiebedarf in dunklen und windarmen Zeiten kann durch die immer verfügbare Kraft des Wassers gedeckt werden.
Um Industrie und Handel in der Grafschaft Schaumburg zu beleben, wurden unter hessischer Herrschaft im 18. Jahrhundert in Exten vier Eisenhämmer angelegt. Um diese Zeit waren die hessischen Landgrafen bemüht, in der rein agrarischen Grafschaft eine Industrie aufzubauen und Exten zum Zentrum dieser Industrie zu machen. Die ersten beiden Eisenhämmer entstanden 1745 in einem Engtal der Exter. Die Ortschaft wird durchzogen vom Fluss Exter, der auf 26,1 km Länge ca. 227 m Höhenunterschied überwindet und bei Rinteln in die Weser mündet. Durch diese geografische Besonderheit ergibt sich ein für Niedersachsen fast einmaliges Potential zur Energiegewinnung aus Wasserkraft. Jahrhundertelang wurden an der Exter und seinen zur Energienutzung gegrabenen Seitenarmen bereits Mühlen betrieben. Exten wurde schnell zur Hochburg der niedersächsischen Eisenindustrie. Unter der Anleitung von Schmieden aus dem Bergischen und aus Oberschlesien erlernten die Extener das Handwerk des Blankschmiedes. Wasserkraft bewegte nun in Exten Schleif- und Poliersteine, Hämmer und Eisenscheren, Stanzen und Pressen und den Blasebalg, der die Schmiedefeuer mit Luft versorgte. In sieben Eisenhämmern und Messerschmieden verdiente um 1850 ein großer Teil der Extener Bevölkerung seinen Lebensunterhalt. Die produzierten Waren stellten für ein Dorf mit knapp 800 Einwohnern eine riesige Menge dar und wurden im ganzen norddeutschen Raum verkauft. Ende des 19. Jahrhunderts kam immer mehr Konkurrenz, insbesondere durch die mit modernen Maschinen arbeitende Solinger Industrie, auf. Um 1910 schlossen die beiden letzten Messerfabriken, so dass von der einst blühenden Exter Eisenindustrie nur zwei Eisenhämmer übrig blieben.
Im Jahr 1902 wurde auf dem 1767 gegründeten „Unteren Eisenhammer“ das Elektrizitätswerk „Extenia“ gegründet, das nicht nur elektromotorisch betriebene Feder- und Fallhämmer, Eisenscheren und Stanzen, sondern bis Mitte der dreißiger Jahre auch den Ort mit Licht und Kraftstrom versorgte. Unter der Regie des Vereins für Heimatpflege und Kultur Exten e.V. und unter Mitwirkung des Besitzers und letzten Betreibers Sieghard Kretzer wurde diese Schmiede als Industriemuseum hergerichtet und der Nachwelt als lebendiges Beispiel Extener Eisenfabriken erhalten. Wasserräder sind hier leider nicht zu sehen, da die Anlage seit Jahrzehnten ihren Energiebedarf durch eine Turbine deckt. Als 2011 endlich für den Verein für Heimatpflege und Kultur Exten e.V. die Möglichkeit bestand, nach jahrzehntelangem Bemühen auch den „Oberen Eisenhammer“ von 1745 (heutiges Gebäude von 1805) baulich zu sichern und als weiteres Industriedenkmal zu betreiben, war allen Beteiligten schnell klar, dass ohne Wasserrad die Aussagekraft des Museums in Frage steht. Am Gebäude wurden früher bis zu vier Wasserräder als Antrieb für die einzelnen Maschinen betrieben. Die Ansteuerung des jeweiligen Wasserrades wurde durch Schütze geregelt, die den Wasserzulauf zuließen oder unterbanden. Der Verein für Heimatpflege und Kultur Exten e.V. hat die Planungen dafür abgeschlossen und rechnet mit einem Investitionsvolumen von 80.000 Euro, um ein ca. 2,3 m großes Wasserrad an der ursprünglichen Stelle zu installieren. Die Wassertechnik soll dann im Gebäude wieder wahlweise eine Transmission oder einen Generator mit Bewegungsenergie versorgen.
Das Industriedenkmal „Oberer Eisenhammer“ kann erst dann seiner Bestimmung gerecht werden, die Hochzeit der Extener Eisenindustrie im 19. Jahrhundert sinnbildlich erfahrbar zu machen. Das museale Ensemble von „Unterem Eisenhammer“ mit Turbine und „Oberem Eisenhammer“ mit Wassertechnik an ihrem ursprünglichen Ort ist für Norddeutschland einzigartig und gehört somit zu den wenigen erhaltenen Meilensteinen der niedersächsischen Technikgeschichte.